Kapitel 11 : Der kleine Druide und der Eisenhut
- Daniela Herbaliste

- 3. Okt.
- 6 Min. Lesezeit

Riwal ist mal wieder im Wald unterwegs und genießt die Frische am Bach. Diesmal hat er sich gedacht, er läuft eher Richtung Quelle als Richtung See der Fee Morgane.
Er denkt noch immer an Sivi und ihr erstes Treffen, ihr leuchtendes Gesicht und ihr Versprechen, sich bald zu treffen.
Der Weg den Bach entlang wird immer steiniger und düsterer. Stolpernd läuft Riwal weiter.
Blaue Schatten legen sich auf die immer größer werdenden Felsen am Bachufer.
Selbst die Pflanzen erscheinen irgendwie anders als sonst im Wald.
Immer wieder flackert ein kurzes Licht irgendwo auf, nie am selben Ort. Aber bis er reagieren kann, ist es schon wieder erloschen.
Auf einmal fliegt ein schwarzer Rabe auf. Sein Gekrächze lässt Riwals Blut in den Adern gefrieren, so unheimlich ist es.
« In welche Situation habe ich mich jetzt wieder gebracht?! Vor lauter Tagträumen bin ich bestimmt vom Weg abgekommen!" »
Und doch ist immer noch der kleine Bach da, sein Gurgeln klingt eher wie ein heiseres Rauschen und sein Wasser ist viel dunkler als weiter unten.
Dickes Moos wächst überall und von Zeit zu Zeit lugt eine glitschige Kröte zwischen zwei Steinen hervor.
Riwal wird es langsam angst und bange. Er würde gerne umdrehen, aber er ist sich nicht sicher, ob er den Weg alleine wieder zu seiner Hütte findet.
Jede neue Biegung des Bachs verändert die Umgebung, die Bäume sind nicht mehr grün, sondern grau blau, Spinnenweben hängen in den Ästen und Riwal fühlt sich mehr und mehr beobachtet. Hätte er nicht gewusst, dass es ein heller Morgen ist, hätte er schwören können, dass Fledermäuse um ihn herumschwirren.
Von weitem sieht er immer wieder dieselbe schwarze Katze auf ihn warten. Sie hat seidiges Fell und glühend gelbe Augen.
Immer wenn er ihr näher kommt, läuft sie weiter und wartet dann wieder auf ihn. Langsam beruhigt sich Riwal. Wenn die Katze auf ihn wartet, dann hat das wohl einen Sinn.
Gerade als der Wald so dunkel ist, dass er die schwarze Katze kaum noch erkennen kann, sieht er ein silbriges Licht zwischen den Bäumen. Die Katze scheint ihn direkt dort hinzuführen. Der Wald lichtet sich endlich wieder und Riwal gerät von einer Welt in die andere.
Statt der Sonne, die er heute Morgen aus dem Fenster gesehen hatte, scheint hier der Mond mitten am Tag.
Er steht am Waldrand und sieht auf eine Lichtung, dort steht ein Häuschen. Kein einziger gerader Winkel, die Schindeln auf dem Dach liegen, als ob sie jemand nur darauf geworfen hätte. Jedes Fenster hat eine andere Form und eine andere Größe.
Das Dachfenster ist dreieckig, auf der Veranda sind die Fenster rund und das Ganze erinnert an eine verzogene Grimasse.
Die Haustür hat vier unterschiedliche Seiten und Riwal fragt sich, wie sie in den Angeln hängt, geschweige denn wie man sie öffnen kann.
Auf dem Dach sieht er eine Wetterfahne in Form eines Drachens, der erstaunlich echt aussieht und sogar Feuer speit.
Je nachdem wie das Licht auf den Drachen fällt, ist er mal grün, mal blau schillernd. Aus dem Schornstein qualmt es mal rot, mal grün, mal blau, wenn nicht gerade eine Explosion stattfindet.
Um das Hexenhaus (denn es kann nur ein Hexenhaus sein!) blühen hunderte von blauen Blumen.
Fast so hoch wie er selbst blühen sie in unendlichen Varianten von Blautönen.
Jede Rispe ist mit vielen kleinen helmförmigen Blüten bestückt.
« Die würden Sivi bestimmt gefallen! » denkt sich Riwal.
« Wenn ich sie zu Hause in eine Vase stelle, halten sie es bestimmt aus, bis ich Sivi wiedersehe. »
Er streckt die Hand aus, um die erste Rispe zu pflücken…und wird von einem Blitz getroffen.
« Dummer Junge! Eisenhut ist keine Blume zum Verschenken! Willst Du denn Unglück über Deine Geliebte bringen?! »
Entsetzt zieht Riwal seine Hand zurück. Nein, das will er natürlich nicht.
Der Blitz kam von der Veranda des Hexenhäuschens und Riwal lugt vorsichtig, ob er die dazugehörige Hexe sieht.
Aber er sieht wieder nur die schwarze Katze.
Letztendlich lässt er die Blumen hinter sich und wagt sich in Richtung der Veranda und der schwarzen Katze.
Je näher er kommt, desto mehr kann er menschliche Züge im Gesicht der Katze erkennen. Aus dem seidigen Fell werden schwarze Korkenzieherlocken (wo hat er die denn schon gesehen?).
Jetzt scheint sie immer größer zu werden und als er vor ihr steht, ist aus der Katze eine echte Hexe geworden.
Blau-schwarzer Umhang, funkelnde Augen und irgendwie kommt sie ihm bekannt vor.
« Acoria Morrwyn- Hexe des Lichts und der Dunkelheit » stellt sie sich vor.
Da habe ich Dich und meine Familie gerade noch vor dem Schlimmsten gerettet! »
Riwal reißt die Augen auf « Wieso Deine Familie? Die Blumen waren doch für jemand anderes bestimmt... »
« Jemand anderes, der zu meiner Familie gehört. »
Jetzt erkennt er die Ähnlichkeit zwischen Sivi und der Hexe endlich.
Aconia nickt: « Ja, Sivi ist meine Schwester. »
Riwal traut seinen Ohren nicht « Schwester?! »
So hell und leuchtend Sivi mit ihren roten Haaren war, so dunkel war Aconia mit ihren schwarzen Haaren, den fast gelben Augen und ihrem blau blassen Teint.
Unterschiedlicher hätten beide nicht sein können.
« Gönnst Du etwa die Blumen Deiner Schwester nicht? » fragt Riwal
Jetzt lacht die Hexe schallend auf und wird gleich wieder ernst.
« Nein, Riwal, der blaue Eisenhut (so heißt diese Blume) ist hochgiftig. Nur Eingeweihte können ihn sammeln, da schon 1-2 Gramm tödlich sind. Sivi und ich sind in einer Hexenfamilie groß geworden und wissen, wie wir mit ihnen umgehen müssen. Aber Du als junger Druide hast noch nicht genug Erfahrung damit. Alleiniges Anfassen verursacht Übelkeit und Taubheit Deiner Arme und Beine.»
Riwals Augen werden immer größer, wie kann eine so schöne Pflanze so giftig sein?
Aconia fährt fort: « Der Eisenhut gehört zur Familie der Hahnenfußgewächse, die fast alle mit Vorsicht zu genießen sind. In der freien Natur wachsen sie in schattigen Lagen auf nährstoffreichen Böden. Daher sind sie häufig auf feuchten Wiesen, in Auwäldern oder an Berghängen zu finden. Wir Hexen benutzen das Gift, um uns vor dem Werwolf in Vollmondnächten zu schützen. Da wir viele Rituale im Mondlicht machen, kann das von Nutzen sein. »
« Und Sivi will nicht wie Du eine Hexe werden? » fragt Riwal jetzt völlig aus dem Kontext gerissen.
Zu wissen, dass sie aus einer Hexenfamilie kommt, macht sie nur noch interessanter.
« Hexen- und Druiden-Familien ähneln sich. Wir bewachen die Natur, leben mit ihr im Einklang und benutzen nur jeweils andere Pflanzen für andere Zwecke.
Sivi wird Dir das besser selber erklären, warum sie Druidin werden möchte, aber das ist kein Wettbewerb, wer besser ist.
So, jetzt nur um sicher zu gehen, dass Du das mit dem Eisenhut gut verstanden hast. Wiederhole mir das Wichtigste, Riwal! »
Riwal versucht sich an alles gut zu erinnern « Der Eisenhut ist Europas giftigste Wildpflanze, schon 1-2g reichen, um selbst einen Werwolf zu töten. 1,5m blaue Schönheit, aber nur von Weitem. Selbst Anfassen kann die Haut bis zur Verbrennung reizen und ist das Gift erstmal im Körper, lähmt es nacheinander Arme, Beine und alle Organe bis zum Herzstillstand. »
Aconia scheint zufrieden mit seiner Antwort zu sein: « Dann hast Du Deine heutige Lektion ja gelernt! Jetzt kannst Du wieder zu Deiner Hütte zurück und grüße mir Sivi schön, wenn Du sie demnächst siehst. »
Riwal kann es kaum fassen, das war eine Lektion?! Und woher weiß Aconia, wann er Sivi wiedersehen wird?!
Seufzend sagt er sich, dass es wohl besser ist, auch giftige Pflanzen zu kennen, der eigenen Sicherheit zuliebe.
« Und wie komme ich in der Dämmerung wieder nach Hause? » Schon bei Tageslicht hätte er den Weg nicht gefunden...!! » sagt sich Riwal.
Aconia schmunzelt und schnippt mit den Fingern. Da speit der Drache vom Dach auf einmal so viel Feuer, dass er mehrere Fackeln entzündet. Riwal zieht den Kopf ein.
Die Fackeln entzünden sich nach und nach und bilden eine Kette den Bach entlang.
Er dreht sich ein letztes Mal um: « Danke Aconia Morrwyn! »
Jetzt versteht er, dass ihr Familienname eine Mischung aus einer jungen Frau auf Keltisch und der Göttin Morrigan ist. Aconitum napellus ist der lateinische Name des Eisenhuts, daraus ist dann der Vorname Aconia geworden.
Die Hexe sieht schon wieder mehr und mehr nach der schwarzen Katze aus.
Es schauert Riwal kalt, wenn er daran denkt, was der Eisenhut hätte alles auslösen können.
Jetzt beschleunigt er seinen Schritt, da er so bald wie möglich in seine wohlige Hütte zurück möchte.
Er ist sich nicht mal sicher, ob er Sivi davon erzählen wird.



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